Der Preis der Vereinbarkeit

Beruf und Familie zu vereinen ist seit der (mehr oder weniger) erfolgreichen Emanzipation der Frau für viele erwerbstätige Paare mit Familienplänen ein selbstverständliches Ziel. So auch für mich und meinen Noch-Ehemann. Und gewissen Eltern gelingt die Vereinbarkeit auch, doch für andere bleibt es bei reinem Wunschdenken. Ich gehöre leider – auch nach über 4 Jahren immer noch – zu letzteren: Angefangen hat es mit einer körperlichen Erschöpfung, die eine Depression sowie einen bis heute andauernden Identitätsverlust zur Folge hatte. Für die insgesamt vier stationäre Klinikaufenthalte, haben nicht nur meine Tochter und ich, sondern auch die Allgemeinheit einen hohen Preis bezahlt. Deshalb finde ich auch, dass diese Geschichte an die Öffentlichkeit sollte.

Inhaltsübersicht

 

2017: Desillusionierung

Erste Symptome während der Schwangerschaft

Vor meiner Schwangerschaft habe ich mich als gesunde, erfolgreiche und glückliche Frau gefühlt. Dies änderte sich jedoch bereits am ersten Tag der Schwangerschaft. Ohne dass ich von meinem glücklichen Umstand wusste, begann mein Körper sich in Form von Grippesymptomen unangenehm bemerkbar zu mache. Beinahe nahtlos fühlte ich mich während des ersten Schwangerschaftsdrittels krank. Angesichts der Tatsache, dass ich immer wieder hörte, dass es sich dabei um «normale» Nebenerscheinungen handelte, hatte ich mich mit meiner unangenehmen Situation abgefunden. Als mein Zustand aber auch im zweiten Schwangerschaftsdrittel unverändert geblieben ist, machte sich bei mir langsam Panik breit. Denn ich war schon total erschöpft und wusste, dass der kräftezerrende Teil (die Geburt und die nächtlichen Schlafunterbrüche) ja erst noch kommen würde. Ich fragte mich also: «Wie sollte ich das alles nur schaffen?» Da war ja auch noch mein Job an der Universität Zürich und meine selbstständige Beratertätigkeit.

Ich probierte alles aus, was mir empfohlen wurde. Aber als auch der letzte Selbsthilfeversuch in Form einer Ernährungsumstellung mit Verzicht auf Gluten wenig erfolgreich war, kontaktierte ich meine Frauenärztin, die mich aufgrund von Anzeichen einer Depression sofort an eine Fachärztin überwies. Doch leider brachte auch diese Therapie keine merklichen Veränderungen mit sich und so akzeptierte ich meine gesundheitliche Verfassung, in der Hoffnung, dass sich mein körperliches Wohlbefinden wenigstens nach der Geburt verbessern würde.

Leider musste ich mich aufgrund einer nicht mehr zu stoppender Blutung an einem Muttermal einer notfallmässigen Operation unterziehen. Es bestand der Verdacht auf Krebs, doch der Befund zeigte sich dann glücklicherweise unauffällig. Die Zeit der Ungewissheit war jedoch von Sorgen und Ängsten geprägt.

Wo bleiben die Glücksgefühle?

Da meine Tochter sich in der Beckenlage am wohlsten fühlte und sich bis zum Ende nicht selbst gedreht hatte, wurde sie per Kaiserschnitt geholt. Während dieser Operation war ich zwar physisch anwesend, aber der Eingriff war für mich einfach nur traumatisierend. Ich hatte das Gefühl, ich würde ersticken und liess deshalb meine Augen geschlossen, in der Hoffnung, ich würde dann möglichst wenig mitkriegen. Nach der Entbindung wurde mir dann (immer noch mit geschlossenen Augen auf dem OP-Tisch liegend) mein Kind hingelegt, damit ein Erinnerungsfoto gemacht werden konnte:

Die angeblichen Glückgefühle, die ein solches Ereignis mit sich bringen sollte, blieben jedoch aus. Stattdessen durchlebte ich eine Kombination von Angst, Benommenheit und Abwesenheit.

Allein und überfordert

Auch die darauf folgenden Tage, die ich im Spital verbringen musste, fühlten sich ähnlich an. Hinzu kamen die Schmerzen der grossen Schnittwunde sowie beim Stillen und Atmen (wie sich in der Physiotherapie nach dem Klinikaustritt herausstellte, hatte die stressbedingte Kurzatmigkeit während des Kaiserschnitts zu einer Verspannung der ganzen Atemmuskulatur geführt).

Als der letzte Tag im Spital bevorstand, wollte eigentlich nicht nach Hause, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich in meinem Zustand alleine ein Baby versorgen sollte, während mein Noch-Ehemann seiner Arbeit im gewohnten Umfang von rund 150% nachgehen würde. Doch ich erlebte kein Verständnis, weder im Spital noch Zuhause. Und so war ich dann mit meiner Tochter alleine völlig überfordert. Körperlich und mental erschöpft, versuchte ich mit dieser Situation irgendwie zu Recht zu kommen.

2018: Burnout

Präventive Massnahmen

Ich erkannte sofort, dass ich über kurz oder lang ein Burnout erleiden würde, wenn ich so weitermachen würde. Ich war körperlich total erschöpft und tagsüber von meiner neuen Mutterrolle sowie dem geschäftlichen Druck derart gestresst, dass ich selbst während der Schlafenszeiten meiner Tochter nicht zur Ruhe kommen konnte. Ich konnte mich nur noch mit viel Anstrengung halbwegs konzentrieren, wie die vielen Fehler sowie die eingeschränkten Führungsqualitäten im Berufsalltag zeigten. Also stellte ich mein Leben um: Ich hörte auf in mein eigenes Unternehmen zu investieren, legte meine Weiterbildung an der HSG auf Eis und reduzierte mein 40%-Pensum an der Universität Zürich auf 20%.

6 Monate arbeitsunfähig und dann Jobverlust

Gleichzeitig ging jedoch meine Ehe in die Brüche und es folgte eine kräftezehrende Auseinandersetzung mit meinem Noch-Ehemann, auf deren Einzelheiten ich an dieser Stelle verzichte.

Kurz darauf brach auch noch die umfangreiche Betreuung meiner Tochter Zuhause weg, sodass ich nun auch noch mit den gängigen KiTa-Problemen (passende KiTa mit freien Plätzen finden, Eingewöhnungszeit erfolgreich bestehen etc.) konfrontiert wurde.

Die Schlafstörungen sowie die damit verbundene körperliche Erschöpfung verschlimmerten sich in dieser Zeit derart, dass ich kurz vor dem Zusammenbruch war. Ich suchte deshalb eine neue Fachärztin auf, welche mich direkt zu 100% arbeitsunfähig geschrieben und einen stationären Klinikaufenthalt empfohlen hatte. Nachdem ich mich mit den organisatorischen und wirtschaftlichen Folgen eines Klinikaufenthaltes auseinander gesetzt hatte, hatte ich mich jedoch für eine ambulante Behandlung entschieden. Damals dachte ich noch, dass eine Genesung im gewohnten Umfeld für mich und meine Tochter die bessere Variante sei. Wenn ich jedoch auch nur ansatzweise geahnt hätte, was für kräftezerrende Kämpfe noch auf mich zukommen würden, wäre ich schon damals in eine Klinik eingetreten. Denn mein Noch-Ehemann war trotz allem der Ansicht, dass ich meine gesundheitlichen Probleme nur als Vorwand benützen würde, um nicht mehr arbeiten gehen zu müssen. Deshalb reduzierte er auch die bisherigen Unterhaltszahlungen massiv, um mich finanziell unter Druck zu setzten zu.

Auch die Universität Zürich war der gleichen Ansicht wie mein Noch-Ehemann und kündigte mir nach Ablauf meiner Krankschreibung. Durch den Verlust meiner Arbeitsstelle bin ich finanziell noch weiter unter Druck geraten.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, warum mein nahes Umfeld damals so reagiert hatte. Ich habe es selbst erst vor kurzem realisiert, als ich meinen YouTube-Kanal KLARTEXT! gegründet hatte. Ich sah mich in meinen Videos und wäre auch nie auf die Idee kommen, dass dieses Frau derart krank ist, wenn ich die körperliche Erschöpfung sowie die damit verbundenen Leistungseinbussen nicht am eigenen Leib erfahren hätte. Denn die Frau strotzte scheinbar vor Energie. Aber was man in diesen Videos nicht sieht, ist das Vorher und Nachher: Wie viel Energie es mich kostet, selbst Dinge zu tun, die ich eigentlich gerne machen würde und wie erschöpft ich mich danach jeweils fühle.

Kampf an allen Fronten

Als alle meine Versuche für eine gütliche Einigung betreffend Unterhaltszahlung scheiterten und ich wiederholt Liquiditätsprobleme hatte, zog ich vor Gericht. Gleichzeitig musste ich auch noch für meine Rechte als Arbeitnehmerin einstehen. Und als wäre das nicht schon genug, hatte ich als alleinerziehende Mutter auch noch einen 24h-Job zu erledigen, der härter als alle bisherigen Jobs war, die ich bis dahin hatte. Denn bei allen anderen Jobs, hatte ich zu einer humanen Zeit Feierabend, stets Wochenende und vier Wochen bezahlte Ferien. Ich erlitt dabei weder körperliche Schmerzen noch wurde ich regelmässig Mitten in der Nacht geweckt.

Wie alle anderen Menschen brauche auch ich genug Schlaf und Erholung. Als alleinerziehende Mutter eines Kleinkindes ist das jedoch eine ziemliche Herausforderung. Und wenn einem dann noch neben den nächtlichen Weckrufen stressbedingte Schlafstörungen mehrere Stunden pro Nacht wachhalten, ohne dass man den verpassten Schlaf irgendwann nachholen kann, wird es relativ schnell kritisch.

2019: Urteil des Bezirksgerichtes

Es dauerte fast ein Jahr bis das Bezirksgericht Uster über mein Gesuch betreffend Regelung der Unterhaltszahlungen entschieden hatte. Ein Jahr voller Sorgen und finanzieller Ungewissheit. Und obwohl mir mein damaliger Anwalt versichert hatte, dass eine Erwerbstätigkeit unter diesen Umständen gar kein Thema sei, rechnete mir das Bezirksgericht trotz 80%-iger Arbeitsunfähigkeit ein hypothetisches Einkommen von Fr 3’500.- pro Monat an und dies auch noch rückwirkend für ein ganzes Jahr (!). Wie ein Richter einen solchen Entscheid fällen kann, ist selbst mir als Juristin schleierhaft. Der Entscheid des Bezirksgerichts Uster war für mich einfach nur niederschmetternd und ein Zeichen dafür, wie wenig Bedeutung und Anerkennung der tagtäglichen Leistung von Müttern in unserer Gesellschaft scheinbar beigemessen wird.

Da das Bezirksgericht Uster die beiden Arztzeugnisse als irrelevant erachtete, suchte ich nach einem neuen Facharzt. Sowohl die erste Fachärztin, als auch die zweite, an welche ich von ersterer überwiesen wurde, haben mir beide bereits im ersten Gespräch einen stationären Aufenthalt empfohlen. Und so entschied ich mich, trotz des schlechten Gewissens meiner damals 2-jährigen Tochter gegenüber, für eine stationäre Behandlung.

2020: Urteil des Obergerichtes

Es dauerte nochmals fast ein ganzes Jahr bis das Obergericht im Berufungsverfahren ein Urteil gefällt hatte. In dieser Zeit musste ich meine Schulden weiter erhöhen, damit ich meine Anwältin überhaupt bezahlen konnte. Die finanzielle Ungewissheit sowie die Sorge um meine gesundheitliche Verfassung sind geblieben. Glücklicherweise hat das Obergericht die rückwirkende Anrechnung des hypothetischen Einkommens, welches das Bezirksgericht Uster festgelegt hatte, aufgehoben. Doch obwohl ich immer noch zu 80% arbeitsunfähig geschrieben war und das Gericht wusste, dass es aufgrund der anhaltenden Be- und Überlastungen nochmals zu einem zweiten stationären Aufenthalt kommen könnte, legte es das hypothetische Einkommen bei netto Fr. 3’000 pro Monat fest. Auch dieses Mal scheint dem Arztzeugnis nur wenig Gewicht beigemessen worden zu sein, was mir wiederum den Boden unter den Füssen weggezogen hatte und letztlich auch dazu führte, dass ich mich ein weiteres Mal zur stationären Behandlung in eine Klinik begeben hatte. Denn nach dreijährigem Kampf um gesundheitliche Stabilität war nun auch meine mentale Motivation derart geschwächt, dass ich erstmals die Diagnose verspürte, welche mir bereits im Frühling 2017 diagnostiziert wurde: Depression.

2020: Der 2. Klinikaufenthalt

Während meines zweiten Klinikaufenthaltes bin ich der Frage nachgegangen, ob mich vielleicht doch meine Arbeit krank gemacht hat. Deshalb habe ich mich für ein Berufungscoaching entschieden, aber dies bestätigte mich lediglich in meiner Wahl. Parallel dazu bin ich dank einem YouTube-Video von Verena König glücklicherweise auf den wahren Grund für meine Erkrankung gestossen: Mein Entwicklungstrauma, wovon ich geglaubte hatte, dass ich es Mitte 20 gelöst hatte. Bis dahin war meine Todessehnsucht mein ständiger Begleiter. Da sich mein Innenleben nach einer intensiven Therapie um gefühlt 180 Grad gedreht hatte und ich ein Leben führen konnte, wovon ich davor nicht zu träumen wagte, wiegte mich offenbar nur scheinbar in Sicherheit. Die angezeigte Traumatherapie konnte mangels einem entsprechenden Therapieangebot vor Ort nicht begonnen werden und nach meinem Austritt holte mich der Alltag Zuhause wieder ein. Für mich wurde relativ schnell klar, dass eine ambulante Therapie unter diesen Umständen äusserst schwierig werden würde.

2021: Der 3. und 4. Klinikaufenthalt

Deshalb entschied ich mich im Frühling darauf die Traumatherapie zumindest stationär zu beginnen. Aber auch in der Klinik waren die Probleme Zuhause so präsent, dass die geplante Traumatherapie auch noch nach Wochen nicht starten konnte. Als es dann auch noch Lücken bei der Fremdbetreuung meiner Tochter gab, erkannte ich, dass ich unter diesen Umständen gar nie richtig ankommen könnte und ein stationärer Aufenthalt deshalb wenig sinnvoll ist.

Ende Juli hatte ich dann alles organisiert, dass ich mich während diesem Klinikaufenthalt auch wirklich auf meine Genesung konzentrieren könnte. Unglücklicherweise war die Dauer des Aufenthalts aufgrund der Krankenkassenleistung zum Vornherein auf 22 Tage beschränkt. Während der ersten Hälfte war ich dann mit der zweiten Berufung an’s Obergericht beschäftigt, da mir das Bezirksgericht Uster das langersehnte Urteil mit einer unerstreckbaren Frist von 10 Tagen genau in der Woche vor dem Klinikeintritt zugestellt hatte. Einen Tag nach der Einreichung der fast 1 Kilo schweren Berufung wollte ich mit dem Fahrrad an den See zum Baden fahren. Kaum hatte ich das Klinikareal verlassen, knallte jemand in mich hinein und ein älterer Fahrradfahrer in voller Velomontur lag am Boden und regte sich nicht. Das Blut spritze trotz des Fahrradhelms nur so aus einer Platzwunde im Gesicht. Ich stand derart unter Schock und wusste weder was zu tun ist, noch ob ich selbst Verletzungen hatte. Es kamen Menschen, die halfen und ich sass einfach nur am Boden, abwechselnd weinend und dann wieder dissoziiert. Es vergingen Tage, bis ich mich von dem Schock zumindest psychisch erholen konnte. Denn dauerhaften Tinnitus sowie das Beinkribbeln sind jedoch bis heute geblieben.

Kindheitstrauma und dessen Konsequenzen

Wie anstrengend und kräfteraubend ein Kleinkind sein kann, realisieren die meisten wohl erst, wenn sie selbst Eltern werden. Doch wie hoch der Preis sein kann, wenn Frau daneben auch noch versucht, weiterhin geschäftlich erfolgreich zu bleiben, sind sich wohl die wenigsten bewusst. Im schlimmsten Fall endet der Wunsch nach Vereinbarkeit in einer persönlichen und finanziellen Katastrophe, wie bei mir: Die zusätzlichen Gesundheitskosten, die durch die Reaktivierung meines Entwicklungstraumas entstanden sind, belaufen sich mittlerweile auf mehrere hundert Tausend Franken. Diese hätten meiner Meinung nach zu einem grossen Teil vermieden werden können, wenn in unserer Gesellschaft ein besseres Verständnis hinsichtlich der so viel angestrebten und auch wünschenswerten Vereinbarkeit von Beruf & Familie sowie psychischen Erkrankungen vorhanden wäre.

BeUnity für Betroffene und Angehörige

Aufgrund der vielen persönlichen Nachrichten, die mich im Zusammenhang mit meinem Post vom 23. März 2021 bei LinkedIn erreicht haben, habe ich eine Gruppe gegründet, in der auch ein anonymer Austausch zwischen Betroffenen sowie Angehörigen möglich ist. Der Beitritt erfolgt über folgenden Link und mit dem Code «klartext».

 

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